Der Mangel an Pflegekräften im Krankenhaus ist kein Pflegekräftemangel

Beitrag von Gerald Götz – Kompetenzfeldleiter Technologiemanagement (11.04.2023)

Die durch das Bundesgesundheitsministerium angestoßene Krankenhausreform zur Verbesserung der Versorgungsqualität und insbesondere das Krankenhauszukunftsgesetz haben sich zum Ziel gesetzt, mittels Investitionen in die Digitalisierung eine qualitativ hochwertige und bedarfsgerechte Akutversorgung von Patienten sicherzustellen.

Attraktive Arbeitsbedingungen und hohe klinische Effizienz entstehen durch Prozessverständnis und Mitarbeiterorientierung

Im Kontrast dazu stehen jedoch nach wie vor anhaltende Arbeitsverdichtung, mangelhafte Strukturen und inakzeptable Arbeitsbedingungen für die Mitarbeiter [5] [6] [7] [8]. Das von Pflegekräften und Ärzten persönlich erheblich negativ wahrgenommene Missverhältnis zwischen administrativem und organisatorischem Aufwand einerseits und erbrachter klinischer Behandlungs- und Versorgungsleistung andererseits führt seit Jahren zu Frustration und ist Grund für Überlastung und Unzufriedenheit. Die Folge sind Austritte aus medizinischen und insbesondere pflegerischen Berufen [2] [3] [4].

Die Investition in Digitalisierung führt nicht automatisch zu mehr Arbeitszufriedenheit, besserer Patientenversorgung und ebenso nicht zu mehr Effizienz und Produktivität. Die verbreitete Hoffnung, mängelbehaftete Abläufe durch bloße Digitalisierung zu verbessern ist hinreichend widerlegt und gleichzeitig eine der häufigsten Ursachen für das Scheitern von Digitalisierungsprojekten [9]. Sie geht darüber hinaus zu Lasten der Technologieabteilungen, denen oft die Schuld am Misserfolg zugeschrieben wird und auch hier nicht selten zu beruflicher Neuorientierung führt.

Unabdingbare Voraussetzung für eine erfolgreiche Digitalisierung sind:

  • das gleichzeitige Verständnis der betrieblichen und organisationsübergreifenden Wirkzusammenhänge ärztlicher und pflegerischer Tätigkeiten sowie
  • die Fähigkeit und der Wille des Krankenhausmanagements, die damit im Zusammenhang stehenden Veränderungen aktiv zu gestalten.

Ohne vorhergehende Identifikation nicht-wertschöpfender Tätigkeiten ist eine messbare Verbesserung der
Arbeitssituation nicht zu erwarten
[10].

Bestimmend für den administrativen und organisatorischen Aufwand, den das klinische Personal täglich zu leisten hat [11], sind aufgrund der zahlreichen zu gestaltenden fach- und berufsübergreifenden Schnittstellen nach wie vor:

  • Planung, Koordination
  • Informationsverarbeitung
  • Kommunikation
  • Logistik

 

Quelle: Anteil und Zuordnung der vier häufigsten Kategorien nicht-wertschöpfender Tätigkeiten der jeweiligen Berufsgruppe  [11]

Die hierfür notwendige zeitliche Inanspruchnahme der Pflegenden ist deshalb von überragender Bedeutung, weil der Sinn klinischer Leistungserbringung sowohl durch den unmittelbar der Patientenversorgung als auch durch den nicht direkt der Patientenbehandlung zugutekommenden administrativen und organisatorischen Aufwand bestimmt wird. Bei der Ermittlung aufwandsbestimmender Merkmale zur Identifikation nicht-wertschöpfender Tätigkeiten treten eklatante Mängel in der Prozessgestaltung mit erheblicher Auswirkung auf die Prozessqualität zutage. So entfallen z.B. in perioperativen Prozessen, über 70% aller von Ärzten und Pflegekräften identifizierten nicht-wertschöpfenden Tätigkeiten auf administrative und organisatorische Kategorien, die nicht primär mit ärztlichen und pflegerischen Behandlungsleistungen in Verbindung stehen. Der hier durchder Patientenversorgung entzogene Zeitaufwand beträgt bis zu 25% der täglichen Arbeitszeit [vgl. 11].

 

Quelle: Häufigkeitsverteilung primär administrativ/organisatorischer (grau) und primär ärztlich/pflegerischer Kategorien (grün) nicht-wertschöpfender Tätigkeiten (Summe = 100%) [11]

Es fehlt nicht an Pflegekräften, es fehlt an der zielgerichteten Schaffung attraktiver Arbeitsbedingungen mit digitaler Unterstützung.

Die Reduzierung nicht-wertschöpfender Tätigkeiten verbessert nicht nur das Patientenwohl nachhaltig, sondern stärkt auch erheblich die Reputation eines Krankenhauses. Diese Verbesserungen als Ausdruck gelebter Wertschätzung sind sowohl elementare Voraussetzungen für die Begeisterung medizinischer Berufsgruppen als auch eine zielgerichtete und nachhaltig erfolgreiche Digitalisierung von Klinikprozessen [vgl. 2].

Bislang wurden eher diejenigen Kliniken belohnt, die wenig oder keine Aktivitäten zur Effizienzverbesserung auf den Weg brachten und abwarten. Kliniken sollten künftig daran gemessen werden, ihre wirtschaftliche Lage durch real messbare Veränderungsmaßnahmen zu verbessern und nicht nur daran, den Digitalisierungsgrad zu erhöhen (vgl. KHZG/DigitalRadar). Kliniken müssen dazu umfassende Vergleichsmöglichkeiten ihrer Prozesseffizienz und der dazu eingesetzten digitalen Prozessunterstützung erhalten.

Die Aktualität der Forderung bestätigt sich grundsätzlich auch aus anderen Branchen. Die F.A.Z. veröffentlichte am 12.10.2022 (Seite 22, Unternehmen) die Einschätzung des Vorsitzenden des VDMA-Fachverbands Software und Digitalisierung, wonach die vergangenen zehn Jahre im Hinblick auf Produktivitätsfortschritt ergebnislos waren, die Produktivität im Maschinenbau sogar gesunken ist. „…statt zu organisieren und zu standardisieren, ist die Verschwendung digitalisiert worden …“ Um aus der Situation herauszukommen, betont der Vorstandsvorsitzende des Fachverbands Michael Finkler: „Die Einstellung des Managements ist das Wichtigste, es ist keine Frage der Größe eines Unternehmens, sondern des Wollens, wenn es um Digitalisierung geht, können auch mittelständische Unternehmen noch einen Gang höher schalten“. Diese Aussagen sind zweifellos auf Kliniken übertragbar.

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Quellen

2 Vincent-Höper S. et al., Gemeinsam gegen die Ökonomie, Arbeitsbelastung im Krankenhaus. Dtsch Arztebl 2020; 117 (22): A 1043-7

3 Schmedt M.: Nur noch arbeiten und schlafen, Arbeitsbelastung. Dtsch Arztebl 2019; 116(37): A-1571

4 Wehkamp KH., Naegler H.: The comercialisation of patientrelated decision-making in hospitals – a qualitativ study of the perceptions of doctors and chief executiv officers, Dtsch Arztebl Int 2017; 114:797-804. DOI:10.3238/aerztebl.2017.0797

5 Lincke H.-J. et al.: Typisch Krankenhaus? Psychische Arbeitsbelastung von Pflegekräften und Ärzten in Abhängigkeit von Beruf und Situation vor Ort, Arbeitsmedizin im Gesundheitsdienst, Band 32, Edition FFAS, Freiburg, 2019: 185-199

6 Hiemisch A. et al.: Sind wir wirklich so glücklich wie wir glauben? Eine kritische Untersuchung der Arbeitszufriedenheit an einer Universitätsklinik, Georg Thieme Verlag Stuttgart, New York, 2019. Gesundheitswesen 2019: 81, 309-318

AOK: Pflegekräfte überwiegend in Teilzeit, Fachportal für Arbeitgeber, Aktuelles, 19.2.2021, https://www.aok.de/pk,rh/inhalt/hoher-langzeitkrankenstand-bei-pflegekraeften/ abgerufen 21.2.2021

Sozialverband Deutschland: Hoher Krankenstand in der Pflege, aus: AOK-Pflegeportal 2019, https://sovd.de/krankenstand-pflegereport-aok/ abgerufen 21.2.2021

Krüger-Brand H.E.: Digitalisierung im Krankenhaus: Es geht um die Prozesse, Dtsch Arztebl 2018; 115(13). https://www.aerzteblatt.de/archiv/inhalt?heftid=6194

10 Wilke M.: Prozessotimierung steigert die Arbeitszufriedenheit, in: Dilcher, B., Hammerschlag, L.: Klinikalltag und Arbeitszufriedenheit; Springer Gabler Wiesbaden; Edition 2; 2013; 23-54; https://doi.org/10.1007/978-3-658-01832-0_2

11 Friederich P. Götz G. Kläss T.: Zeitfressern auf der Spur, Studie München Klinik Bogenhausen, Bibliomed, f&w 1/2022

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