Ein Interview mit ZEQ-Vorstand Rüdiger Herbold
1 Herr Herbold, wie blicken Sie als Berater auf das Jahr 2019 im Hinblick auf Veränderungen für Krankenhäuser und anderen Gesundheitseinrichtungen zurück?
Das Gesundheitswesen befindet sich in einer noch nie dagewesenen Dynamik. Es gibt mittlerweile zig Krankenhäuser, die versorgungsrelevant sind, aber ein siebenstelliges Jahresdefizit aufweisen. Ganz besonders die Universitätskliniken sind schwer betroffen. Gleichzeitig drängt die Digitalisierung dazu, die Gesundheitsversorgung neu zu denken. E-Health, App-basierte Therapie, zentrale Datenhaltung im Zuge des Digitalen Versorgungsgesetzes und natürlich die Ansprüche der Patienten, die in ihrem Privatleben schon viel mehr auf digitale Vernetzung bauen, als das gewöhnlich Krankenhäuser tun, sind nur einige Themen, die durch die Einrichtungen „bewegt“ werden müssen.
2 Welche Themen bzw. Gesundheitsreformen waren besonders herausfordernd für Krankenhäuser?
2019 war für Krankenhäuser das „Jahr der großen Unsicherheit“. Der Gesetzgeber hat eine Fülle von Gesetzesvorhaben auf den Weg gebracht, die allesamt sehr kurzfristig wirksam werden sollten oder sollen. Und oft sind die Einrichtungen sehr lange im Dunkeln getappt, was da tatsächlich auf sie zukommt: Bei den Personaluntergrenzen war im Prinzip bis zur Scharfschaltung des Systems nicht klar, welche finanziellen Konsequenzen den Krankenhäusern bei Verfehlung drohen.
Das MDK-Reformgesetz ist erst in den letzten Wochen so konkretisiert worden, dass die Krankenhäuser wissen, welche Konsequenzen es mit sich bringen kann. Wie hoch das finanzielle Ausfallrisiko durch das Gesetz im kommenden Jahr sein wird, ist jedoch noch völlig unklar. Gerade dieses Gesetz kann aus meiner Sicht erhebliche unschöne Überraschungen für die Krankenhäuser mit sich bringen. Auch die finanziellen Veränderungen durch die Ausgliederung des Pflegebudgets sind schwer abzuschätzen. Wird es tatsächlich Krankenhäuser geben, die ab 2020 mehrere Millionen Euro Mehrerlös haben werden, weil sie eine besonders gute Personalausstattung haben?
3 In welchen Themenfeldern haben Sie in 2019 am häufigsten beraten?
Als Leiter des Kompetenzfeldes Sanierung habe ich natürlich einen großen Teil meiner Zeit in Wirtschaftlichkeitsprojekten verbracht. Hier wächst ZEQ – aufgrund der oben beschriebenen Drucksituation auf die Kliniken – sehr schnell. Mit unserem 2019 neu gegründeten Geschäftsbereich Digitalisierung konnten wir bereits im ersten Jahr spannende Projekte von der Entwicklung von Digitalstrategien für Krankenhäuser bis hin zur Bewertung des deutschen KIS-Marktes für ausländische Investoren bearbeiten. Mittlerweile haben wir ein Digitalteam von fünf Experten aufgebaut und sind damit sehr gut für 2020 aufgestellt. Die Prozessprojekte haben sich 2019 aufgrund des allgemeinen Fachkräftemangels in eine etwas andere Richtung verändert. Nun geht es häufig darum, aus ineffizienter Organisation entstehende Mitarbeiterunzufriedenheit zu beheben und damit die Fluktuationsrate in kritischen Bereichen zu senken – eine spannende Entwicklung. Schließlich haben wir 2019 in der Geschichte von ZEQ die meisten Strategieprojekte bearbeitet. Dabei reichte das Spektrum von der Moderation zweier Führungskräftetagungen am UKSH mit mehr als 300 Teilnehmern bis hin zur Erarbeitung von Strategiegutachten für Klinikverbünde.
4 Gibt es Projekte, die Ihnen besonders in Erinnerung geblieben sind?
Mit großer Begeisterung denke ich auch an ein aktuelles Projekt im Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, wo es darum geht, die Arbeitgeberattraktivität weiter zu steigern. Wir sind dort auf Führungskräfte getroffen, die eine extreme Bereitschaft zeigen, neue innovative Ideen aufzunehmen, zu entwickeln und auszuprobieren. Wir werden dort richtig tolle, innovative Ansätze entwickeln.
5 Welche Themen werden Krankenhäuser auch im Jahr 2020 beschäftigen?
Die Frage der Existenzsicherung wird für viele Krankenhäuser das Thema Nummer eins bleiben. Daneben bewirkt die Ausgliederung des Pflegebudgets, dass die Anstrengungen zur Gewinnung von Pflegekräften weiter forciert werden. Da das für jedes Krankenhaus gilt, wird der Wettbewerb um die Pflegekräfte noch schärfer. Hinzu kommt, dass insbesondere einige Universitätskliniken in den Tarifverhandlungen gezwungen worden sind, die Bedingungen für die Pflegekräfte so stark zu verbessern, dass der Wettbewerb nochmals zusätzlich angeheizt worden ist.
Letztlich bleibt für die Krankenhäuser nur die Flucht nach vorne. Und die heißt:
Weiterentwicklung des medizinischen Leistungsspektrums, um einen Vorsprung gegenüber den anderen Marktteilnehmern zu gewinnen
Optimierung der internen Prozesse, insbesondere in der interdisziplinären Zusammenarbeit, um die Mitarbeiter zu binden und nicht durch schlechte Abläufe täglich zu demotivieren
Ausbau der Digitalisierung, um patienten- und mitarbeiterorientierte Erleichterungen zu schaffen und besser zu sein, als die umliegenden Krankenhäuser.