Naturgemäß ist die Entwicklung medizinischer Disziplinen zunächst von externen Faktoren und hier vor allem von der Epidemiologie der jeweils behandelten Krankheitsbilder abhängig. Beispielsweise ist davon auszugehen, dass onkologische Kliniken in den letzten Jahren gewachsen sind, weil es eine Zunahme der Krebserkrankungen in Deutschland gibt. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass es sich durchaus lohnt, auch bei Fachabteilungen mit wachsenden Fallzahlen etwas genauer hinzuschauen. Aus unserer Sicht muss die Entwicklung der eigenen Fallzahlen immer im Verhältnis zur gesamten Entwicklung im Fachgebiet beurteilt werden. Dabei lassen sich drei Szenarien unterscheiden: die Fallzahlen der eigenen Fachabteilungen nehmen schneller zu als im gesamten Fachgebiet, die Fallzahlen entwickeln sich analog zum Fachgebiet oder die Fallzahlen entwickeln sich schlechter als im Fachgebiet. Im Einzelfall kann das bedeuten, dass obwohl die eigene Fachabteilung moderat wächst und man auf dem ersten Blick damit zufrieden ist, in Wirklichkeit genau diese Fachabteilung gegenüber dem Wettbewerb an Boden verliert. In einem meiner letzten Projekte hatte ich einen solchen Fall: die eigene Fachabteilung ist jährlich um 2-3% gewachsen. Die Krankenhausführung war hiermit grundsätzlich zufrieden. Eine Analyse der Wettbewerber ergab jedoch, dass der stärkste Wettbewerber im selben 3-Jahres-Zeitraum um mehr als 30% Wachstum verzeichnen konnte – Sie können sich vorstellen, dass die Beurteilung der eigenen Leistung nach dieser Analyse gänzlich anders ausgefallen ist.
Das Beispiel dieses Wettbewerbers hat uns gezeigt: wirklich erfolgreiche Fachabteilungen wachsen deutlich stärker als der „Markt“. Daher haben wir uns intensiv damit beschäftigt, in welchen Punkten sich dieser Wettbewerber von unserem Auftraggeber unterschied. Wir konnten vier wesentliche interne Wachstumstreiber identifizieren:
Der Chefarzt: Der sicherste Wachstumsgarant ist ein Chefarzt, der auf seinem Gebiet (bereits) als Koryphäe gilt und trotzdem noch die Eigenmotivation hat, seine „eigene“ Fachabteilung weiterzuentwickeln. Die fachliche Kompetenz ist dabei idealerweise über öffentliche Rankings wie z. B. der Focus-Ärzte-Liste nachweisbar. Es ist also durchaus eine Managementoption, einer stagnierenden Fachabteilung durch einen Wechsel auf der Chefarztposition neue Impulse zu geben. Bei der Suche nach einem Kandidaten sollten junge, „hungrige“ Ärzte, die sich im Fachgebiet aber bereits einen Namen gemacht haben, bevorzugt werden. Bringt dieser Kandidat auch noch Managementfähigkeiten mit, dann steht der positiven Entwicklung des Fachbereichs nichts mehr im Weg.
Das Einweisermanagement: Im oben genannten Beispiel war auffällig, wie stark sich der Wettbewerber um die niedergelassenen Fachärzte in der Region kümmerte. Vor allem über konkrete Kooperations- und Serviceangebote gelang es ihm, innerhalb kürzester Zeit die Schlüsseleinweiser an sich zu binden. Die Schnelligkeit, mit der der Wettbewerber Patientenströme über die Einweiser zu seiner Fachabteilung umlenkte, war beeindruckend. Die Erkenntnis: Die Verteilung der Einweiser auf die Kliniken einer Region ist zwar historisch gewachsen und durch persönliche Vertrauensverhältnisse geprägt, findet man aber die richtigen Ansatzpunkte, lässt sich die Einweiserverteilung zu Gunsten der eigenen Fachabteilung durchaus auch kurzfristig ändern.
Spezialisierung im Leistungsspektrum: Erfolgreiche Fachabteilungen spezialisieren sich in der Regel auf Teilfelder ihres Fachgebiets und wachsen in diesen besonders. Quasi als Nebeneffekt entwickeln sich auch die Fallzahlen in den anderen Teilbereichen positiv. Demgegenüber sind Gemischtwarenläden – also Fachabteilungen die behaupten, sämtliche Teilfelder ihres Fachgebiets gleich gut zu beherrschen – deutlich seltener erfolgreich.
Alleinstellungsmerkmale in den weichen Faktoren: Unser Kunde informierte auf seiner Homepage darüber, wie gut er mit modernster Medizintechnik ausgestattet ist. Der Wettbewerber stellte im Gegensatz dazu heraus, wie er sich neben der eigentlichen Behandlung um das Wohlbefinden seiner Patienten kümmerte. Hierzu gehörten z. B. kostenlose Service- und Beratungsangebote für Patienten und deren Angehörige. Diese wurden professionell geplant, umgesetzt und vermarktet. Die Ausstattung mit moderner Medizintechnik wurde als Selbstverständlichkeit vorausgesetzt und nicht besonders herausgestellt. Für uns steht fest: Neben der fachlichen Expertise – die insbesondere durch den Chefarzt verkörpert wird – bauen überdurchschnittlich erfolgreiche Fachabteilungen Alleinstellungsmerkmale vor allem in den „weichen“ Faktoren (Service, Beratung, Zusatzleistungen) auf.
Abschließend ist zu konstatieren: Wachstum von Fachabteilungen wird durch externe Rahmenbedingungen begünstigt oder erschwert, aber erst durch interne Faktoren tatsächlich realisiert. Dabei ist die Ressourcenfrage der Wachstumsgenerierung nachgeordnet, d. h. eine Fachabteilung sollte zunächst mit den vorhandenen Ressourcen ihre Wachstumsgrenze erreichen – erst dann ist die Ressourcenausstattung zu erweitern. Insofern gilt an Stelle der Formel „mehr Ressourcen bedeuten Wachstum“ eher der Zusammenhang „Wachstum ist die Voraussetzung für eine höhere Ressourcenzuteilung“.